[18.11.2017] DIE ZEIT, Nr. 46, 09.11.2017
Transatlantische Beziehungen – Supermacht EU? Bitte nicht!
Europa muss sich von den USA verabschieden und die weltweite Führungsrolle einnehmen? Wer das fordert, übersieht, wie zerstritten der Kontinent ist.
Von Jochen Bittner und Martin Klingst
“… Auch wir sind der Meinung, dass die EU deutlich mehr weltpolitisches Gewicht entfalten muss, denn die amerikanische Regierung scheint derzeit eher Risiko als Sicherheitsgarant zu sein. …
Das Symptom “Donald” steht für Elitenverachtung, für Misstrauen in Institutionen und Gewaltenteilung, für eine von Feindbildern getriebene Spaltung der Gesellschaft sowie für die Sehnsucht nach Abschottung und Schutz vor dem kulturell, religiös oder ethnisch Anderen. Genau damit ist allerdings eine innerwestliche Krise beschrieben, nicht bloß eine inneramerikanische.
In Frankreich hätte um ein Haar eine rechte Anti-Establishment-Kandidatin die Präsidentschaftswahlen gewonnen, in Österreich regiert demnächst wohl die nationalistische FPÖ mit, in Ungarn träumt Ministerpräsident Victor Orbán von der Errichtung einer “illiberalen Demokratie”, in Polen hält die Regierungspartei PiS das “Volkswohl” im Zweifel für wichtiger als das Recht, und in Italien führt die populistische Fünf-Sterne-Bewegung die Umfragen an. Allein diese Momentaufnahme gibt kaum Anlass zu Europastolz. Die historische Betrachtung tut es noch weniger. …”