Zeit-Magazin: Lobbyismus House of Cars?

[18.11.2017] DIE ZEIT, Nr. 46, 09.11.2017 – Zeit-Magazin
Lobbyismus House of Cars?
Bankenkrise, Dieselskandal, verflochtene Hauptstadt-Eliten: Viele Bürger glauben, dass in Deutschland die Demokratie längst einer Lobbykratie gewichen sei. Zu Recht?
Von Heike Faller

Link  http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/46/lobbyismus-demokratie-abgasskandal-bankenkrise

„Es geschah in diesem Sommer, in einer der vielen Talkshows zum Dieselskandal. Die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks war zu Gast sowie ein pensionierter Lehrer aus Stuttgart, der seit Jahren gegen Feinstaub und Stickoxidbelastung kämpft. Er sprach von der Vergiftung der Bevölkerung in Stuttgart, vom automobilindustriellen Komplex. “Die Politik wird von der Autoindustrie bestimmt”, sagte er schließlich. Niemand widersprach. Auch die Umweltministerin Barbara Hendricks sagte nichts, so als sei ihrem Berufsstand nicht gerade jede Legitimation abgesprochen worden.
In seinen Reden und Aufsätzen zu dem Thema kommt Manfred Niess, der Lehrer im Ruhestand, zu einem noch grundlegenderen Schluss: “Wir leben”, sagt er, “nicht mehr in einer Demokratie, sondern in einer Lobbykratie.”
… Man bemerkt sie überall, in Dokumentarfilmen, Büchern, in Leserbriefen zu aktuellen politischen Themen vom Diesel bis zur Bundestagswahl.
Steinmeier scheint mir am wenigsten prädestiniert dafür, dem sog. “Volk” die Demokratie erklären zu können, er ist ein Günstling eines Systems, das sich zwar “Demokratie” nennt, aber sich ehrlicherweise eher als Lobbykratie, Parteiendiktatur etc. beschreiben lässt. (Kommentar unter einem Artikel zu einer Veranstaltung des Bundespräsidenten kurz vor der Bundestagswahl.) …
Tatsächlich bekamen die Bürger im Dieselskandal einen Einblick in den Maschinenraum der Politik, der viele schockierte. Man erfuhr, dass die EU-Abgasgrenzwerte gar nicht auf der Straße eingehalten wurden, sondern nur auf dem Prüfstand. Auf der Straße liegen sie um ein Vielfaches höher. Man erfuhr, dass die Verkehrspolitiker in Berlin oder in Brüssel dies seit Langem wussten. Dass sie aber sieben Jahre gebraucht hatten, um einen Test einzuführen, der die Abgase dort misst, wo sie eingeatmet werden: auf der Straße. Man lernte, dass Matthias Wissmann, der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Schreiben an die Kanzlerin mit “Liebe Angela” beginnt. Man wunderte sich, warum Verkehrsminister Alexander Dobrindt so ähnlich auf den Dieselskandal reagierte wie früher die Tour-de-France-Veranstalter auf positive Dopingtests: gelassen.
… nach der Einführung des Clean Air Act Mitte der sechziger Jahre in den USA, als erstmals Autoabgase reguliert wurden. Seither wurden Autohersteller immer wieder verklagt, weil sie Abschalteinrichtungen einbauten, die dafür sorgten, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand eingeschaltet wurde. (Bereits 1974 musste VW wegen eines solchen defeat device 125.000 Euro Strafe in den USA bezahlen.) …
Die Kurzformel für diese Verflechtung ist: Lobby. Es ist ein Begriff, der die kompliziertesten Probleme mit einem Wort zu erklären scheint.
Warum werden die Menschen immer dicker? – Weil die Zuckerlobby ihnen eingeredet hat, nicht Zucker, sondern Fett mache dick.
Warum gibt es kein Heilmittel gegen Krebs? – Weil die Pharmalobby mit Chemotherapien zu viel verdient.
Warum gibt es Krieg? – Weil die Öllobby billiges Öl braucht.
Und so weiter. …“

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.