Martin Tichy zur Verabschiedung des städtischen Haushalts 2022

Haushalt 2022
© Stadt Griesheim

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Liebe Kolleginnen und Kollegen,


der städtische Haushalt hat fast 400 Seiten, ich weiß nicht wer von uns alle davon gelesen hat, ich sage Ihnen es lohnt sich, auch wenn er sicher kein Bestseller wird. Der Haushalt ist eine der zentralen Säulen der kommunalen Selbstverwaltung, dementsprechend viele Paragraphen der HGO beschäftigen sich damit. Es geht nicht um Zahlen, es geht ums Geld, unser Geld und vor allem um Inhalte. Er sollte Projekte und Maßnahmen enthalten und aufzeigen, wie und wohin sich unsere Stadt entwickelt. Dementsprechend sind ausführliche Beratungen und Diskussionen gesetzlich vorgesehen. Ich nehme es vorweg: für uns erfüllen weder die Haushaltsberatungen noch der Inhalt dieses Haushaltes diese Ansprüche.

Bei der Einbringung des Haushaltes habe ich gefragt: „Soll und darf an diesem Haushalt nichts geändert werden? Sollen wir ihn nur akzeptieren und abnicken? Wir dürfen festhalten: beide Fragen sind für uns eindeutig mit „Ja” zu beantworten.

Es waren die kürzesten Haushaltsberatungen, die ich bisher erlebt habe. Wir haben uns als Fraktion darüber nicht beschwert, alle Termine eingehalten, und zudem eine für mich inhaltlich hervorragende Arbeit geleistet, dafür danke ich meinen Fraktionskolleginnen. Nicht erwartet haben wir, dass anstelle der Besprechung und Diskussion der Fragen aus den Fraktionen ein dreistündiger Frontalvortrag mit 103 Seiten Präsentation erfolgte, während dessen Sitzungsleitung und Vortrag in der Person des Bürgermeisters vereint waren und der häufigste Satz lautete: „deren Notwendigkeit wir hier nicht zu diskutieren brauchen.“

Griesheim wird von einer neuen Koalition regiert, und der Haushalt wäre der Moment, deutlich zu machen wohin sich Griesheim entwickeln soll. Doch Fehlanzeige: im Haushalt findet sich keine eigene Maßnahme oder Investition der GroKo zu den Themen des Koalitionsvertrages:
Digitalisierung? Bürgerbeteiligung? Gewerbe und Landwirtschaft? Integration und Inklusion? Jugend und Senioren? Stadtentwicklung und Infrastruktur? Klimaschutz und Umwelt? Nichts, absolut gar nichts!
Im Bereich Kinderbetreuung und Bildung arbeitet die GroKo das ab, was die Kooperation vorbereitet hat, oder hechelt wie bei den Tageseltern hinterher.

Im Bereich Mobilität gibt es eine Beruhigungs- und Betäubungspille zum Stadtbus an Stelle eines klaren Bekenntnisses in Form der Aufnahme des Stadtbusses in die Mittelfristige Finanzplanung ab 2023 – so wird in dieser Wahlzeit wohl kein Stadtbus mehr fahren. Und immer dann, wenn es kompliziert wird oder mit Widerständen zu rechnen ist, macht man lieber einen Rückzieher. Wie weit wollen Sie die Fahrradstraße noch runter kochen und wie lange mit der Umsetzung warten?


Bleiben die Bereiche Ehrenamt und Finanzen. Im Bereich Ehrenamt wurde ein runder Tisch als nicht öffentliches und geschlossenes Gremium eingerichtet, doch wenn es darum geht, Geld in die Hand zu nehmen? Wieder Fehlanzeige.
Und im Bereich Finanzen? Erklärtes oberstes Ziel ist „Wir streben einen ausgeglichenen Haushalt an.“, dieses selbst gesteckte Ziel wird offensichtlich deutlich verfehlt. Ob es klug ist, auf die Anpassung von Steuern zu verzichten, stellen wir zumindest in Frage:

  • Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
  • Klimaschutz, Stadtbus und die Förderung des Radverkehrs gibt es nicht zum Nulltarif. Wir haben über 100 Jahre auf Kosten von Natur, Klima und der Ausbeutung der Menschen in der sogenannten zweiten und dritten Welt gelebt. Dies zu Beenden ist notwendig und überfällig.

Den Griesheimer:innen diese Punkte nicht deutlich zu sagen und zu erklären, mag kurzfristig und vielleicht wahltaktisch erfolgreich sein. Nachhaltig ist das nicht. Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag auf kommunaler Ebene, und wir GRÜNE wollen versuchen diesen mit den Beratungen zum Klimaschutzkonzept anzupacken. Wir sind in Griesheim in der komfortablen Situation, Kredite aufnehmen zu können und noch auf Rücklagen zurückgreifen zu können, doch wenn wir diese nicht dafür einsetzen die zentralen Herausforderungen anzugehen – Klimaneutralität, Erhalt und Schaffung von gefördertem und bezahlbarem Wohnraum, Stadtbus, Ausbau der Kinderbetreuung, Infrastruktureinrichtungen für eine wachsende Stadt wie die Feuerwehr, oder die Unterstützung des lokalen Gewerbes in der Pandemie – dann ist das weder nachhaltig noch zeigt es eine Richtung auf, wie eine für Griesheim vielleicht existenzielle Herausforderung gelöst werden soll.

Der Erhalt Griesheims als Mittelzentrum. Gerichte können uns vielleicht etwas Zeit verschaffen, den Status Mittelzentrum können und werden sie uns nicht zusprechen. Mit unseren Anträgen stellen wir dar, wie es gelingen kann diese Herausforderungen anzugehen und die Anforderungen zu erfüllen Griesheim als Mittelzentrum zu erhalten. Mittelzentrum bedeutet, umliegende Gemeinden mit zu versorgen, mit bezahlbarem Wohnraum, mit einem besseren ÖPNV-Angebot, mit einem mitversorgenden Handels- und Dienstleistungsangebot. Dazu haben wir auch aufgezeigt, wie es finanziell klappen kann: Prioritäten setzen, Transparenz herstellen, Planung am tatsächlichen Mittelabfluss und Nutzung von Fördergeldern. Wir hätten mit unserer jungen und kreativen Fraktion noch mehr Anträge stellen können, zur Kläranlage und dem Klimaschutz, zur Machbarkeit der Straßenbahnführung am Westeingang, zur Steigerung der Qualität in der Kinderbetreuung, dem einstimmig beschlossenen Wettbewerb zu Neugestaltung von Schüler-Platz und Anlage … die Wahlzeit ist noch lang.

Wir haben mit unseren Anträgen aufgezeigt, was nötig und möglich ist. Sie sind damit der Gegenentwurf zu diesem kraftlosen, mutlosen und ideenlosen Haushalt. Wir werden diesem Haushalt und diesem Investitionsprogramm nicht zustimmen.

Martin Tichy 15.12.21 – es gilt das gesprochene Wort