[11.02.2018] DIE ZEIT, Nr. 04, 18.01.2018
Landwirtschaft – “Die Verschwendung ist ein Skandal”
Wie können Europas Agrarmilliarden sinnvoll eingesetzt werden? Und wie kann die Landwirtschaft Umwelt-, Klima- und Tierschutz verbessern? Fragen an den Agrarexperten Harald Grethe.
Interview: Christiane Grefe und Fritz Habekuß
“DIE ZEIT: Herr Grethe, die Landwirtschaft steht im Kreuzfeuer, Themen wie Glyphosat, Insektensterben und Massentierhaltung bewegen viele Menschen. Am Wochenende soll – parallel zur Agrarministerkonferenz – eine große Demonstration für die “Agrarwende” in Berlin stattfinden. Aber in Brüssel, wo dafür entscheidende Weichen gestellt werden müssten, scheint man sich in einem undurchdringlichen Dschungel aus EU-Regeln und Expertenjargon verheddert zu haben. Wie könnte man da herauskommen?
Harald Grethe: Die Frage ist doch: Warum ist dieses Regelwerk so sperrig? Alle Steuerungssysteme werden komplexer, wenn man an ihren Fehlern herumdoktert und nicht den Mut zu grundsätzlichen Reformen aufbringt. Den bräuchte es aber heute.
ZEIT: Ist die Agrarpolitik der Europäischen Union im Grundsatz verfehlt?
Grethe: Historisch ist es eine enorme Leistung, einen gemeinsamen Markt für mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten mit derart unterschiedlichen Voraussetzungen und Kulturen zu schaffen. Gemeinsam haben die EU-Staaten der Landwirtschaft einen identitätsstiftenden Wert zugeschrieben, sie für die Weltmärkte gewappnet und Bauern im Übergang dafür kompensiert, dass staatlich gestützte Preise sanken. Das ist eine große Erfolgsgeschichte. Aber seit einem Jahrzehnt herrscht Stagnation. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union, kurz GAP, wird den heutigen Herausforderungen nicht gerecht. …”
“Stichwort GAP
Fast 60 Milliarden Euro und damit zwei Fünftel des EU-Haushalts, also richtig viel Geld, fließen jährlich in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). In den nächsten Monaten werden die Weichen dafür gestellt, wie hoch Europas Agrarsubventionen ab dem Jahr 2021 sein sollen und wofür Bauern sie erhalten. Derzeit wird der größte Teil als Direktzahlung pro Hektar und mit wenigen Ökoauflagen an kleine wie große Betriebe verteilt. Nur etwa ein Drittel fließt in Umweltprojekte, in den Tierschutz und in die nachhaltige regionale Entwicklung.”