[14.01.208] DIE ZEIT, Nr. 03, 11.01.2018
Afrikanische Schweinepest – “Das ist irreführende Propaganda”
An der Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest sind nicht die Schweine schuld, sondern wir Menschen. Ein Gespräch mit dem Wildökologen Sven Herzog über fehlgeleiteten politischen Aktionismus
Von Hans Schuh
“… Herzog: Die Hauptgefahr geht gar nicht von den Wildschweinen aus. Die sind meist ortstreu. Zudem macht die ASP befallene Schweine unbeweglich, mit hohem Fieber sterben die Tiere rasch. Viel schnellere ASP-Überträger sind Reisende und Berufskraftfahrer. An Schuhen, Kleidern oder Fahrzeugen können die widerstandsfähigen Viren haften bleiben. Besonders riskant ist importierte Nahrung.
ZEIT: Ist das auch für Konsumenten Grund zur Sorge?
Herzog: Für Menschen sind die Erreger harmlos. Die Viren überraschen allerdings auch Profis: Vor wenigen Wochen ist die Seuche beim größten Schweinevermarkter Miratorg in Russland ausgebrochen, im September war der Fleischriese Rusagro betroffen. Aber auch arme Kleinbauern im Baltikum verbreiten die Viren.
ZEIT: Was hat die Ausbreitung einer Tierseuche denn mit Armut zu tun?
Herzog: Wenn in einem kleinbäuerlichen Betrieb das wertvolle Hausschwein kränkelt, wird es oft fix geschlachtet, um das Fleisch zu nutzen. In Salami oder Schinken bleiben ASP-Viren monatelang ansteckend. Touristen und Kraftfahrer entsorgen auf hiesigen Autobahnrastplätzen ihre Essensreste in Abfallkübeln oder werfen sie einfach aus dem Fahrzeug. Solche Delikatessen locken Wildschweine an. Durch kontaminierte Fleischreste kann die Seuche so riesige Distanzen überspringen. …
ZEIT: Deutschland ist Exportweltmeister bei Schweinefleisch. Beeinflusst das die Debatte?
Herzog: Indirekt ja. Die befürchteten Milliardenschäden durch die ASP {Afrikanische Schweinpest} sind hauptsächlich ein Problem der Massentierhaltung: Wenn bei uns ein Wildschwein daran verendet, dann bricht ein lukrativer Exportmarkt zusammen, und es droht im weiten Umkreis Tausenden Zuchtschweinen die Keulung.
ZEIT: Warum? Moderne Zuchtställe sind doch durch Desinfektionsschleusen geschützt.
Herzog: In ASP-Sicherheitszonen sind Tiertransporte für lange Zeit tabu. Züchter werden ihre Mastschweine nicht mehr los und erhalten keine neuen Ferkel. Weiterlaufende Betriebe produzieren nur Kosten, für das Keulen hingegen zahlt die Versicherung. Selbst wenn die Tiere nachweisbar gesund sind – keiner wird Fleisch aus der Sperrzone kaufen.
ZEIT: Wird auch der Markt für Wildschweinfleisch zusammenbrechen?
Herzog: Ja, es geht jetzt schon los, obwohl absolut keine Gefahr für Konsumenten besteht. Wildschweinfleisch ist in Teilen Sachsens, Brandenburgs und in Mecklenburg kaum mehr verkäuflich. Händler verweigern Jägern die Abnahme. Sie befürchten einen Boykott durch Konsumenten, die potenziell verseuchte Lebensmittel ablehnen.
ZEIT: Ist es dann nicht widersinnig, jetzt noch die Jagd und damit das Fleischangebot zu pushen?
Herzog: Es gibt wegen der ASP seit Dezember sogar staatliche sogenannte “Pürzelprämien” von 25 Euro pro abgeliefertem Wildschweinschwanz. Doch wenn Jäger das Fleisch nicht mehr loswerden, entstehen ihnen trotz Prämie nur Unkosten. Dann bleiben viele Waffen im Schrank, und die famose Seuchenprävention ist Makulatur. Das verdeutlicht, wie Aktionismus und falsche Schuldzuweisungen in die Irre führen.”
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