[19.12.2017] DIE ZEIT, Nr. 52, 14.12.2017
Mieten – Zu wenig, zu teuer
In deutschen Städten steigen die Mieten unentwegt. Ein Blick nach Zürich zeigt, wie man sozialer bauen könnte.
Von Gerd Kuhn
“… Ein wichtiger Grund für die Missstände ist ein Mangel, der am unteren Ende des Wohnungsmarktes beginnt. Er betrifft Sozialwohnungen, also solche Wohnungen, deren Miete unter dem Mietspiegel liegt. Gab es in den 1980er Jahren noch etwa vier Millionen Sozialwohnungen, so sind es heute gerade noch 1,3 Millionen – und das trotz steigenden Bedarfs.
Damit sich die Lage bessert, muss Deutschland seine gesamte soziale Wohnbaupolitik neu denken. …
Ab 1950 trug er zur Bewältigung der enormen Wohnungsnot und zur Integration der Heimatvertriebenen bei.
Staatliche Subventionen haben über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt, dass bezahlbarer Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zur Verfügung stand. Wohnbaugesellschaften bekamen Darlehen zu günstigen Konditionen und mussten dafür zwei Bedingungen erfüllen: Vermietet werden durfte nur an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins, und die Höhe der Miete wurde vorgegeben.
Ab den 1980er Jahren begann der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus. Zudem geriet er im Zusammenhang mit der Affäre bei der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat in Misskredit; deren Vorstandsmitglieder hatten sich privat mit Millionen D-Mark bereichert. …
Dann zog sich der Bund im Zuge der Föderalismusreform schrittweise aus dem sozialen Wohnungsbau zurück. Städte und Kommunen verkauften ehemals gemeinnützigen Wohnraum immer öfter an Investoren. Allein zwischen 1999 und 2015 wurden in Deutschland über drei Millionen Wohnungen auf den Markt geworfen. Die Stadt Dresden veräußerte gar ihren gesamten kommunalen Wohnungsbestand. Der freie Markt, so die trügerische Auffassung, werde den Wohnungsmarkt effektiver regeln.
Hinzu kommt, dass Sozialwohnungen eine Art Ablaufdatum haben: Die Mietpreis-Deckelung gilt in der Regel nur für 15 bis 20 Jahre. Danach werden die Wohnungen für den freien Wohnungsmarkt freigegeben. …
So legten die Mieten beispielsweise in München seit 1995 um 70 Prozent zu. …
Die Stadt Zürich etwa hat eine interessante Lösung gefunden, die auch für Deutschland beispielhaft sein könnte. Dort wurde im Jahr 2010 eine Volksinitiative angenommen, die die Bezahlbarkeit von Miete zum politischen Ziel erklärte …
Erstens werden Liegenschaften der Stadt nicht mehr an private Investoren veräußert, um den Bestand vor Spekulation zu schützen. Außerdem wurde beschlossen, dass der Anteil des gemeinnützigen Wohnraumbestandes auf ein Drittel aller Wohnungen ansteigen muss.
Um dies zu gewährleisten, wurde, drittens, im vergangenen Jahr ein Fonds eingerichtet, aus dem Unternehmen immer wieder zinsgünstige Kredite für den sozialen Wohnungsbau abrufen können. Zahlen die Bauunternehmen das Geld zurück, fließt es zweckgebunden wieder in den Fonds. So entsteht eine ständige subventionierte Kasse, die immer wieder für den Bau von neuen Wohnungen genutzt wird, sodass der Anteil von gemeinnützigem Wohnraum kontinuierlich wächst. …
Eigentlich ist also klar, was zu tun ist. Es fehlt nur noch der politische Wille.”