DIE ZEIT: AfD in Ostdeutschland – Hurra, wir sind politisiert!

[02.09.2019] DIE ZEIT Nr. 36, 29.08.2019 Ein Erfolg der AfD in Brandenburg und Sachsen muss keine Katastrophe sein. Eine Analyse von Martin Machowecz
Link: https://www.zeit.de/2019/36/afd-brandenburg-sachsen-landtagswahlen/komplettansicht

{Die Analyse wurde in der Woche vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen veröffentlicht.}

„… Politiker diskutieren, Zeitungen bilden diese Debatten ab und steuern sie mit, danach entscheiden sich die Bürger höflich für eines der bewährten politischen Angebote? Das war einmal.

… Wer im Osten mit AfD-Wählern spricht, stellt irgendwann fest: Ihr AfD-Wählen war offenbar eine Art Emanzipation. …

… So hatte das AfD-Wählen einen aufrüttelnden Effekt: Deutschland hätte über sein inneres Verhältnis nicht so kontrovers, nicht so leidenschaftlich diskutiert, wenn es die AfD nicht nach oben gespült hätte. …

… Es ist gelungen, den Straßenkampf runter von der Straße zu holen. … Diese Lage heruntergekocht zu haben ist eine Leistung des politischen Betriebs: weil viele verstanden haben, dass es keinen Sinn hat, einer bestimmten Sorte von Bürgern das Gespräch zu verweigern. …

… Die AfD hat das Problem, dass sie selbst Teil der Normalität geworden ist; dass sich die Demokratie mit ihr zu arrangieren beginnt …
Es sei nicht mehr so leicht wie früher, die Leute zu mobilisieren, sagt einer aus Sachsens AfD. Einst war das ein Selbstläufer. Aber auch die AfD wird Alltag. Kein Revolutionseifer trägt ewig. Dass die AfD jetzt erstmals in Wahlkämpfe zog, in denen es auch um ihre eigene Arbeit geht, schadet ihr: In Sachsen, Brandenburg und Thüringen saß sie schon mit stattlichen Fraktionen im Landtag. Alle Fraktionen sind im Streit zerfallen. Das ist die schlechte Nachricht für die AfD: Auch sie wird an sich selbst gemessen.

… Aber dass sich Ost und West an ihren Unterschieden reiben, statt sie zu ignorieren, ist ein Fortschritt. Zu lange waren deutsch-deutsche Differenzen, auch innerhalb der Parteien, eine Sache, über die man tunlichst schwieg …

Dabei hilft, dass die Ostdeutschen gelernt haben: Sie müssen sich artikulieren, um gehört zu werden (auch Ostdeutsche innerhalb der Volksparteien waren viel zu lange viel zu leise).

… nach der Wahl wird sich zeigen, ob das Land die vergangenen Jahre wirklich als Anfang begreift: als Anfang des Lernens, nicht als Anfang vom Ende.“